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ins leben zurückgekämpft
curevac-gründer ingmar hoerr über die zukunft der rna-technologie und sein persönliches schicksalsjahr
Herr Hoerr, für uns alle war dieses Jahr privat und beruflich ein außerordentliches. Sie und Curevac standen noch einmal besonders im Fokus. Was war für Sie die prägendste Erfahrung?
Das Prägendste für mich war mein eigenes Schicksal in diesem Jahr. Dass man so plötzlich aus dem Leben gerissen werden kann und dann auch mit dem Tode ringt: Das war eine sehr einschneidende Erfahrung.
Das war im März, in der ersten dramatischen Phase der Coronakrise. Sie befanden sich in Ihrer Eigenschaft als Curevac-CEO in Berlin, als Sie einen Aneurysmen-Riss erlitten.
Meine Assistentin hat mich am frühen Morgen kontaktiert. Irgendwann ist die Korrespondenz abgebrochen und ich war nicht mehr erreichbar – das fand sie seltsam. Sie hat intuitiv im Hotel angerufen und die Angestellten haben mich gefunden. Das war ein Glück, denn der Riss muss nur ein paar Minuten vorher passiert sein, so dass das Hirn noch nicht so stark geschädigt war. Ein weiteres Glück war, dass ich in der nahen Charité-Klinik von einem wirklichen Weltchirurgen operiert wurde. Die Rettungskette hat bei mir sehr gut funktioniert.
Dieser Tag in Berlin als Repräsentant einer der Impfstoff-Hoffnungen in der Krise war vermutlich auch beruflich einer der prägendsten Tage Ihres Lebens. Glauben Sie an Zufall?
Das ist eine interessante Frage: Passt so ein Ereignis zu einem? Ich glaube schon. Um viele Dinge im Leben musste ich kämpfen: Ich war Realschüler – und habe mich von da aus ins Abitur gekämpft; ich musste in Indien einmal innerhalb von 24 Stunden Blutproben für HIV-Studien nach Frankfurt schicken – angesichts der indischen Bürokratie eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Auch um Curevac und deren Investoren mussten wir seit der Gründung im Jahr 2000 mehr als einmal kämpfen. Nun hat mir das Leben ein weiteres Mal eine Aufgabe gestellt, um zu testen, wie ich damit umgehe. So sehe ich das.
Heute wirken Sie wieder extrem fit und ausgeruht. Im Frühjahr waren Sie einer der prominenten Patienten in der Charité. Haben Sie von diesen dramatischen Wochen etwas bewusst mitbekommen?
Nein. Ich lag wochenlang im Koma, hatte danach lange Zeit ein schweres Delir. Ich erinnere mich aber an wilde Phantasien, nachdem ich aus dem Koma erwachte: Im Rehazentrum arbeiteten viele russischsprachige Pfleger und Schwestern. Zwischendurch dachte ich manchmal, dass der KGB mich entführt hätte. Ich hatte seit dem Vorfall auch keinen Klarnamen mehr, sondern wurde zum Schutz der Privatsphäre unter Pseudonym geführt und angesprochen. Es waren die Wochen, in denen auch die Sache mit Trump in den Medien war.
Man fürchtete, US-Präsident Trump könnte einfach „unseren“ Impfstoff aufkaufen.
Ja, es gab einige Schlagzeilen. Deshalb hat mir die Charité gleich einen anderen Namen gegeben, damit ich zumindest auf die Art geschützt war. Aber mir als Patienten hat man das damals so richtig gar nicht klargemacht. Es war eine surreale Situation.
Etwas surreal fühlte sich ja ganz Deutschland in diesen Tagen. Draußen war dieses Testzentren- und Masken-Szenario. Curevac war ein paar Tage zuvor noch mit CEO Dan Menichella zu Besuch im Weißen Haus gewesen. Trump sagte, er will überall Impfstoffe kaufen: „America first“. Und plötzlich war Menichella als CEO weg und Ingmar Hoerr kam aus dem Aufsichtsrat wieder in die Unternehmensleitung. Vier Tage später war auch Hoerr plötzlich weg. Wenn irgendwann alles wieder gut ist – gibt das dann Stoff für einen spannenden Roman?
Ach, da gibt es sicher bessere Romane (lacht). Man hat ja auch viel darüber spekuliert, ob es vielleicht die Drucksituation im März war, für mich als neuer, alter CEO. Aber der gefühlte Druck bei mir war im März nicht höher als in anderen Phasen von Curevac auch: Das bin ich seit Jahren gewohnt. Schlimmer war es am Anfang von Curevac, in Phasen, wo wir kein Geld hatten und am Rande der Insolvenz standen. Das wäre sicher der spannendere Stoff für ein Buch.
Inzwischen repräsentieren Sie die von Ihnen entdeckte RNA-Technologie und sprechen als Gründer der Curevac: etwa in Interviews wie diesem. Sie sind auch mit dabei, wenn Elon Musk Curevac besucht. Wie haben Sie sich so schnell wieder herangekämpft?
Schnell ging es nicht, und es war gewiss viel Glück dabei. Aber immerhin wusste ich trotz des schweren Vorfalls bald wieder, dass ich Ingmar Hoerr bin. Ich konnte recht schnell wieder flüssig sprechen, ich habe meine Frau erkannt, die mich so oft es ging besucht und mir Sicherheit gegeben hat. Denn plötzlich an sich Defizite zu erkennen, die man vorher nicht hatte, das ist hart. Die anzunehmen, sich mit diesen vorübergehenden Defiziten auch zu arrangieren, das war die Hauptsache für mich, um da überhaupt wieder herauszukommen.
Man erzählt von einem bewegenden Comeback am Tag des Curevac-Börsengangs im August.
Ja, das war in meiner ersten Woche wieder daheim in Tübingen. Alle im Unternehmen haben sich sehr gefreut, dass ich plötzlich wieder da war, und dazu noch an diesem historischen Tag. Curevac-Investor und SAP-Gründer Dietmar Hopp hat eine kleine persönliche Ansprache per Video gehalten. Das war in der Tat bewegend. Noch mehr bewegt hat es mich aber, hautnah mitzuerleben, welche immense Leistung das Führungsteam um CEO Franz-Werner Haas und die ganze Curevac-Familie inzwischen vollbracht haben.
Der Börsengang war der vorläufige Höhepunkt einer sehr langen Reise. Seit 2000 kämpfte Curevac um Geld und Ressourcen, nun waren plötzlich Milliarden da. Ist es Corona zu verdanken, wenn die RNA-Technologie irgendwann etabliert ist?
Das glaube ich nicht: Es gibt ja wahrlich noch andere Geißeln der Menschheit. Lepra etwa, oder Influenza oder Tollwut. Vielleicht wäre der globale Druck auf die Entwicklung nicht so hoch gewesen wie jetzt. Außerdem sehen Sie beim Coronavirus relativ schnell Ergebnisse in der Entwicklung. Das mag eine Hilfe gewesen sein.
Das globale Wirtschaftsinteresse hat Curevac auch riesige Ressourcen gegeben, die das Unternehmen nun benutzt, um die Entwicklung durchzuziehen. War Ihnen als jungem Gründer immer so klar, wie viele Milliarden Sie am Ende wirklich brauchen könnten?
Wahrscheinlich war es gut, dass wir uns diesen Geldbedarf nicht immer so bewusst gemacht haben (lacht). Aber letztlich muss man sich als Gründer immer von Meilenstein zu Meilenstein hangeln. Es wäre für uns anfangs ja auch völlig vermessen gewesen, zu sagen, dass wir gleich Medikamente zur Rettung der Welt machen. Es ging in den ersten Jahren erst einmal darum, die Technologie zu validieren.
Wie hätte denn ein Szenario bei Curevac ohne Corona ausgesehen? Diese finanziellen Ressourcen hätten Sie ja in Jahren nicht bekommen.
Sicher hat Corona das Ganze enorm beschleunigt. Aber wir hätten auch ohne dieses Virus unsere Studien gemacht und Ergebnisse erzielt. Wenn auch nicht so im Fokus der Öffentlichkeit.
Aktuell bekommen Curevac-Konkurrenten wie Biontech oder Moderna sogar noch mehr Aufmerksamkeit, weil sie mit positiven Nachrichten aus ihren Phase-3-Impfstoff-Studien punkten ...
... womit ich keine Probleme habe. Es gibt für unsere Technologie einfach Riesenmärkte, mit denen eine Firma allein völlig überfordert wäre. Und in einer Studien-Phase wie der jetzigen geben die Erfolge von Mitbewerbern auch Curevac einen Schub.
Wie das? Biontech und Moderna melden ja recht gute Ergebnisse bei der Wirksamkeit.
Curevac verfolgt ähnliche Ansätze. Deshalb würde ich mir viel mehr Sorgen machen, wenn Biontech und Moderna gerade Misserfolge vermelden würden. Dann würde sich jeder fragen, ob Curevac vielleicht auch auf einem Holzweg ist. Die Kraft liegt in der RNA-Technologie.
Bekanntlich ist der wirksamste Impfstoff nicht automatisch der beste, wenn es darum geht, die ganze Welt gegen das Virus zu impfen. Trauen Sie sich ein Urteil darüber zu, wo Curevac im Vergleich mit seinen Konkurrenten steht?
Viele wichtige Eigenschaften kennen wir noch nicht, weder bei den anderen RNA-Impfstoffen, noch beim Virus selbst. Denken Sie an Faktoren wie Langzeitschutz oder die Möglichkeit von Mutationen. Um ein Beispiel zu nennen: Curevac könnte unter anderem eine wichtige Rolle dabei spielen, die Länder mit einem Impfstoff zu versorgen, die nicht so viel Geld haben.
Warum?
Weil zum einen auf eine ganz strenge Kühlkette verzichten werden kann. Und zum anderen, weil nur sehr geringe Impfstoffmengen je Dosis benötigt werden.
Man hört, dass Curevac seinen Impfstoff in Verhandlungen mit der EU preiswerter anbieten könnte, als es die Konkurrenz möglicherweise tut.
Da habe ich keinen Einblick. Aber es sollte in der Coronakrise nicht darum gehen, irgendjemanden auszunehmen.
Es gibt aktuell scheinbar wenige ernst zu nehmende Wettbewerber, aber ein weltweites und dringendes Interesse: Derzeit stellt sich die Situation auf dem Impfstoffmarkt sehr so dar, als ob es ein Oligopol geben könnte.
Die Situation dieser Coronakrise, das ist kein normaler Markt. Aber noch nie hat es in kürzester Zeit so viele klinische Studien zu einem Impfstoff gegeben, die zudem auch noch so vielversprechend sind.
Aufmerksam wird auch verfolgt, wie eifersüchtig die Impfstoffe global verteilt werden, etwa in Schwellen- und Drittweltländern. Sie selbst sind ja ein großer Indien-Freund.
Für Länder wie Indien wird die Handhabbarkeit eines Impfstoffs besonders wichtig sein. Auch, dass man den Impfstoff nicht auf Minus 80 Grad kühlen muss. Für die 4 Grad, die Curevac von Anfang an mitverfolgt hat, haben diese Länder durchaus Strukturen und können damit umgehen.
Durch ihre mögliche Bedeutung in der Corona-Krise hat die RNA-Technologie einen völlig neuen Legitimationsdruck in der Öffentlichkeit: Früher mussten Sie als Curevac-CEO vor allem Profis und Investoren überzeugen. Heute ruft diese Technologie Laien und auch Verschwörungsgläubige auf den Plan, die Genmanipulation auf breiter Ebene befürchten oder gar eine Verchippung durch Bill Gates.
Ich glaube, bei genauem Hinschauen hat unsere Technologie überhaupt nichts angreifbares: Curevac verwendet ja etwa keine DNA, kein Chromosomenmaterial, sondern ein labiles Molekül, die RNA. Das ist ein Informationsübermittler, wie ein Briefumschlag, den Sie wieder zerreißen können, wenn der Brief angekommen ist. So würde ich das Impfgegnern auch immer sagen. Es ist die Entscheidung eines jeden Einzelnen, sich impfen zu lassen oder eben nicht. Wir bieten lediglich einem Immunsystem, das Hilfe sucht, Hilfe an.
Davon müssen Sie breite Schichten überzeugen. Wenn 70 Prozent der Deutschen sich vor einer Impfung fürchten würden, wäre der Sache nicht gedient.
Ich glaube nicht, dass das ein Problem wird. Sehen Sie die Grippeimpfung an: Sie ist wichtig und von Seiten der Ärzte und Patienten völlig akzeptiert – trotz der gelegentlichen Nebenwirkungen. RNA-Impfstoffe sind nach wenigen Stunden wieder raus aus dem Körper. Ich glaube, dass sich das Paradigma „Informationen für den Körper“ gut kommunizieren lässt - und dass es dann in der Öffentlichkeit auch angenommen wird.
Wo wird denn die Technologie in 15 Jahren stehen?
Wenn die Technologie zeigt, dass man mit ihr das Coronavirus in den Griff kriegen kann und sie uns wieder ein normales Leben ermöglicht, dann ist viel erreicht. Ich glaube, dass Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten die ersten Anwendungen sind, die die Technologie etablieren können: Weil es noch vergleichsweise „einfach“ ist, das Immunsystem zu trainieren. Schwieriger wird es sein, Krankheiten wie Diabetes zu behandeln. Aber das wäre eine Vision der Zukunft: eine Enzym-Ersatztherapie, über die man dem Körper Proteine bringt, die er selbst nicht hat.
Kann man mit der Technologie auch darüber hinausgehen, Defizite zu kompensieren? Wie wäre es mit ein wenig Muskelaufbau? Oder ein paar hilfreichen psychologischen Eigenschaften?
Ach, für die Muskeln gehen Sie lieber ins Mapet. Und grundsätzlich gilt, dass die Technologie ja nicht mit den menschlichen Chromosomen interagiert. Es ist keine Gentechnik: Wenn Sie die Pille weglassen, hört die Wirkung auch auf. Ein viel größeres Thema der Ethik wäre es, wenn man anfangen würde, bei Kindern auf Chromosom-Ebene zu arbeiten. Das ist bei der RNA-Technologie nicht der Fall.
Ob mit oder ohne RNA-Impfung: Wann werden wir diese Corona-Krise Ihrer Ansicht nach hinter uns gelassen haben?
Es wird in Schritten gehen. Aber dass nun Impfstoffe auf einem guten Weg sind, hat jetzt schon große psychologische Auswirkungen. Noch gar nicht ausmalen können wir uns heute, was allein psychologisch passiert, wenn die ersten Menschen geimpft sind: Wenn sie selbst nicht mehr erkranken können. Es gibt viele Unwägbarkeiten und bis auch der letzte geimpft ist, wird es wohl Jahre dauern. Im kommenden Jahr werden wir wohl alle weiter mit Corona leben müssen.
Haben Sie ihn denn selbst schon ausprobiert, den Curevac-Impfstoff?
Nein, ich selbst habe aktuell noch genug andere Medikamente, die ich einnehmen muss. Aber wenn sich alles normalisiert hat, werde ich mich sicher schnell impfen lassen. Ein Impfgegner bin ich sicher nicht (lacht).
Ingmar Hoerr
Der 1968 in Neckarsulm geborene Ingmar Hoerr machte Abitur in Nürtingen und studierte Biologie in Tübingen. Bei Auslandsaufenthalten in Indien forschte er unter anderem über Lepra und HIV. 1999 wurde er an der Universität Tübingen promoviert: Für seine Doktorarbeit baute er gentherapeutische Prozesse im Labor nach und ging der Frage nach, welche Moleküle am besten geeignet sind, eine Immunantwort im menschlichen Körper hervorzurufen. Er stieß auf die RNA als effektiven Auslöser einer Immunreaktion. 2002 schloss Hoerr einen Master of Business Administration an der Donau-Universität Krems in Österreich ab, denn zuvor, im Jahr 2000, hatte er mit seinem langjährigen Firmenpartner Florian von der Mülbe, heute Chief Production Officer von Curevac, und weiteren das Tübinger RNA-Unternehmen gegründet. In den darauffolgenden Jahren wuchs Curevac vom Drei-Mann-Unternehmen zum internationalen Player mit heute rund 500 Mitarbeitern, Ingmar Hoerr wurde neben seiner Tätigkeit als CEO zum vielgefragten Berater für die Biotech-Szene, etwa als Beirat des Europäischen Innovationsrats.